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Kommt der Stein endlich ins Rollen? Zwei Entwürfe zu einer Regulierung der Suizidassistenz liegen auf dem Tisch

Pia Dittke –

Die Notwendigkeit einer Neuregelung der Suizidassistenz

Fast ein Jahr nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Verbot der Förderung geschäftsmäßiger Selbsttötung eine ungewöhnlich deutliche Absage erteilt hat, liegen nun gleich zwei Gesetzentwürfe zu einer Neuregelung der Suizidassistenz vor. Die Initiativen lassen hoffen, dass nun endlich eine politische Debatte in Gang kommt, die bitter notwendig ist, um dem Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende endlich Geltung zu verschaffen. Die Verfasser der Entwürfe schlagen den richtigen Weg ein, um die Balance zwischen Selbstbestimmung und staatlichem Schutz des Lebens zu gewährleisten. Soweit sie sich jedoch auf die Expertise von Beratungsstellen verlassen, werden die Vorschläge der staatlichen Schutzpflicht gegenüber nicht gerecht.

Mangels einer Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung des § 217 a.F. StGB, der das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung normierte, erklärte das Bundesverfassungsgericht die Norm am 26.02.2020 für nichtig.[1] Der Gesetzgeber hat nun die Wahl, ob und wie er die Suizidassistenz künftig reguliert.[2] Deshalb ist die Frage, weshalb es überhaupt einer Neuregelung der Suizidassistenz bedarf, mehr als berechtigt.

Nicht nur das Grundgesetz, sondern auch die EMRK verlangen einen umfangreichen Schutz menschlichen Lebens. In seiner Entscheidung Haas vs. Switzerland verdeutlichte der EGMR, dass Länder, die eine liberale Lösung der Suizidassistenz wählen, geeignete Maßnahmen zur Durchführung einer solchen Gesetzgebung insbesondere zur Verhinderung von Missbrauch treffen müssten.[3] Wie das Bundesverfassungsgericht außerdem schon im Urteil Schwangerschaftsabbruch I feststellte, begründet Art. 2 II GG eine umfassende Schutzpflicht des Staates gegenüber menschlichem Leben.[4] In Fällen unfreiwilliger Selbsttötung oder sobald Zweifel an einer Freiwilligkeit bestehen, muss der Staat sich also „schützend und fördernd vor dieses Leben […] stellen“.[5]

Zwar ist auch ohne eine spezielle Regelung die Strafbarkeit der Unterstützung unfreiwilliger Selbsttötungen insbesondere im Rahmen der §§ 211, 212 StGB in mittelbarer Täterschaft und des § 216 StGB denkbar. Die anhaltende Diskussion um das Merkmal der „Freiverantwortlichkeit“ im Strafrecht und die Tatsache, dass innerhalb des Strafrechts nur eine „ex-post“-Betrachtung der (Selbst-)Tötung möglich ist, lassen jedoch erahnen, dass die bereits existierenden Strafnormen eine Bewertung der Selbstbestimmung nicht hinreichend gewährleisten können. Eine explizite Regelung der Suizidassistenz ist deshalb unentbehrlich.

Sie ist jedoch auch mit Blick auf die tatsächliche Geltung des Rechts auf einen selbstbestimmten Tod notwendig. Als sicherstes Mittel zur Suizidvornahme gilt das Mittel Natrium-Pentobarbital (NaP), das nach BtMG nur über eine Genehmigung des zuständigen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder über eine ärztliche Verschreibung zu erlangen ist. Von 174 Anträgen zwischen März 2017 und Mai 2020 wurde durch das BfArM jedoch kein einziger Antrag bewilligt, wie der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu entnehmen ist.[6] Die ärztliche Verschreibung wird nicht nur durch das ärztliche Standesrecht, das in vielen Bundesländern Suizidassistenz verbietet,[7] sondern auch über die Zweckbindung der Verschreibung gesperrt, nach der das Mittel nur zur Heilung oder Linderung einer Krankheit verschrieben werden darf.[8] Suizidwillige finden sich also in der Situation wieder, dass ihnen laut Karlsruher Urteil das Recht auf einen selbstbestimmten Tod zusteht, sie mangels (zumutbarer!) Möglichkeiten aber keinen Gebrauch davon machen können.

Chancen prozeduraler Sicherungskonzepte

Als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurden bereits diverse Gesetzesvorschläge eingebracht, die verschiedenste Ansatzpunkte haben. Sie reichen von einem neuen § 217 StGB[9] über eine Regelung in BGB und BtMG[10] bis zur Etablierung eines gerichtlichen Entscheidungsverfahrens.[11]

Nun reihen sich die am Freitag veröffentlichten Entwürfe in diesen Diskurs ein. Am Morgen wurde zuerst der Entwurf der Abgeordneten Helling-Plahr (FDP), Lauterbach (SPD), Sitte (DIE LINKE), Schulz (SPD) und Fricke (FDP) vorgestellt.[12] Ein weiterer Vorschlag der Abgeordneten Künast und Keul (Bündnis 90/Die Grünen) folgte wenige Stunden später.[13]

Den beiden Vorschlägen gemein und überaus begrüßenswert ist zunächst, dass sie von einer erneuten Strafandrohung absehen. Saliger schrieb schon 1998, dass die primäre Zuständigkeit des Strafrechts im Rahmen der Sterbehilfe einerseits zu scharf sei, andererseits „in puncto Selbstbestimmungs- und Mißbrauchsschutz sowie Rechtssicherheit zu kurz“ greife.[14] Die repressive Tendenz des Strafrechts führt vielmehr zur Verunsicherung aller Beteiligten und damit auch zu einer Schwächung des Rechts auf einen selbstbestimmten Tod. Zurecht präferieren deshalb beide Entwürfe die Schaffung eines eigenen Gesetzes außerhalb des Strafrechts und wählen dabei den Weg eines prozeduralen Sicherungskonzepts.[15]

Suizidwillige müssen demnach ein bestimmtes Verfahren durchschreiten, um Zugriff auf ein Suizidmittel zu erhalten. Elementar sind in den vorgeschlagenen Verfahren (verpflichtende) Beratungsgespräche, die der Feststellung eines freien Willens dienen. Der Vorschlag Helling-Plahr et al. zieht für die Definition dieses freien Willens die Kriterien heran, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat (§ 3 des Vorschlags). Diese umfassen eine „realitätsbezogene[] Abwägung des Für und Wider, die Freiheit der Willensbildung von „akute[n] psychische[n] Störunge[n], die „Kenntnis alle[r] entscheidungserheblichen Gesichtspunkte“, die Freiheit von „unzulässige[n] Einflussnahmen oder Druck“ und eine „gewisse Dauerhaftigkeit“ des Wunsches (BVerfG Rn. 240 ff.). Damit schafft der Vorschlag eine gut nachvollziehbare und umfassende Bestimmung, die klare Anhaltspunkte für eine Überprüfung des Willens bietet. Die Abgeordneten Künast/Keul nehmen primär eine negative Definition mit Bezug auf Normen des BGB vor (§ 2 I des Vorschlags). Zwar finden die weitergehenden Kriterien des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Vorschlag ebenfalls Beachtung, eine übersichtliche Einbeziehung aller Kriterien wäre jedoch schon in der Begriffsbestimmung (§ 2) wünschenswert. Eine besondere Absicherung des freien Willens soll nach beiden Konzepten durch ein 4-Augen-Prinzip und Wartefristen gewährleistet werden.

Das Dilemma privater Beratungsstellen

Beide Vorschläge stützen zumindest Teile ihres Verfahrens auf private Beratungsstellen. Das Konzept Helling-Plahr et al. bezieht sie in allen Fällen ein. Nach dem Vorschlag Künast/Keul sollen sie bei Suizidwünschen, die nicht medizinisch begründet sind, eine entscheidende Rolle spielen. Problembehaftet ist dabei die personelle Besetzung. Zwar sind solche Beratungsstellen keineswegs schlichtweg zu verteufeln, wie es leider vielfach geschieht. Sie können vielmehr bedeutende Stützen in Suizidbegleitung und -prävention darstellen. Dennoch handelt es sich bei der Beurteilung der Selbstbestimmtheit – wie schon die umfassende Definition des Bundesverfassungsgerichts erkennen lässt – um eine komplexe Frage, die nicht (allein) dem oder der freiwilligen Sterbehelfer/in überlassen werden sollte. Vielmehr ist Borasio, Jox, Taupitz und Wiesing zuzustimmen, wenn sie verlangen, dass zumindest eine der beurteilenden Personen über „psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosomatische Fachkenntnisse“ verfügt.[16] Eine Schulung freiwilliger Helfer kann dabei keine Fachausbildung ersetzen. Die Einbindung ärztlichen und psychotherapeutischen Personals ist also in jedem Einzelfall unerlässlich. Das Verlangen nach „hinreichend persönlich und fachlich qualifizierte[m] Personal“ (§ 5 des Vorschlags Helling-Plahr et al., ähnlich in § 4 III 3 Nr. 2 des Vorschlags Künast/Keul) wird dem nicht gerecht. Es bedürfte an dieser Stelle strengerer und konkreterer Anforderungen.

Angesichts dessen, stellt sich die Frage, weshalb die Prüfung nicht gänzlich in die Hände von Ärzten und Psychotherapeuten gelegt werden sollte. Private Organisationen könnten daneben einen optionalen Pfeiler der Unterstützung und Beratung darstellen. Die Prüfung des Suizidwunsches selbst, abgesichert durch ein 4-Augen-Prinzip und durch angemessene (!) Wartefristen, bliebe damit in den Händen derjenigen, die über die notwendige Expertise verfügen.

Medizinische Notlagen vs. sonstige Suizidgründe

Eine Besonderheit im Vorschlag Künast/Keul ist die Differenzierung zwischen Suizidwünschen in medizinischen Notlagen (§ 3 des Vorschlags) und sonstigen Suizidassistenzgesuchen (§ 4). Als Grund für diese Aufspaltung nennen sie den bei nicht medizinisch indizierten Gesuchen fehlenden Bezug zur ärztlichen Profession. Eine Assistenz widerspräche in solchen Fällen dem Selbstbild vieler Ärzte (S. 9 f. des Vorschlags). Bei medizinischen Notlagen schlagen die Verfasserinnen ein ärztliches Beratungs- und Verschreibungsverfahren vor, in allen übrigen Fällen eine Beratung durch private Beratungsstellen mit einer daran anschließenden behördlichen Entscheidung über das „Ob“ der Freigabe des Suizidmittels. Bei letzterem Verfahren träfe also die zuständige Landesbehörde die Letztentscheidung, ob der Suizidwille schlüssig belegt ist. Grundlage dafür sollen ein schriftlicher Antrag der suizidwilligen Person mit Begründung des Suizidwunsches und eine Bescheinigung der Beratungsstelle sein.

Zunächst einmal begründen die Verfasserinnen korrekt, dass das Bundesverfassungsgericht „unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens“ zulässt,[17] weshalb eine Aufspaltung in medizinische Notlagen und sonstige Suizidgründe grundsätzlich möglich ist. Die Erkenntnis, dass für viele Ärzte die medizinische Indikation eine entscheidende Rolle spielen könnte, ist wichtig für eine realistische Betrachtung der Lage.

Wie schon oben erläutert, kann jedoch die alleinige Willensüberprüfung durch das Personal von Beratungsstellen nicht ausreichen. Auch und gerade in solchen nicht-medizinischen Fällen, die deshalb in ihrer Begründung für viele schwer oder unmöglich nachvollziehbar sind, ist eine sorgfältige Überprüfung des wirklichen Willens der Personen vonnöten. Die Eingliederung der Behörden kann dabei ebenfalls keine ausreichende Absicherung bieten, denn sie sollen nur sicherstellen, dass die vorgelegten Unterlagen schlüssig sind (S. 13 des Vorschlags). Auf diese Weise mag Suizidwilligen, die keine medizinische Begründung für ihren Wunsch haben, die Verfolgung ihres Suizidwunsches erschwert werden, da sich weniger Ärzte oder Psychotherapeuten für eine Bescheinigung des freien Willens bereiterklären. Das liegt aber schon daran, dass sich bei solchen vermeintlich „schlechteren“ Suizidwünschen allgemein weniger Menschen finden, die bereit sind, den Suizid in irgendeiner Weise zu unterstützen. Die staatliche Schutzpflicht gebietet auch in diesen nicht medizinischen Fällen dieselben strengen personellen Anforderungen.

Ein Schritt in die richtige Richtung

Eine gute Betreuung von Menschen, die einen Suizid in Betracht ziehen, fördert nicht nur ihre Selbstbestimmung, sie kann auch Leben schützen. Anstatt Menschen in solch einer Situation allein zu lassen, sollten ihre Sorgen ernstgenommen werden. Die Gewissheit, am Ende selbst entscheiden zu können, gibt Vielen die nötige Zuversicht, um auch mit bestehenden Beschwerden weiterzuleben.

Beide Gesetzentwürfe folgen einem grundsätzlich begrüßenswerten, nicht-strafrechtlichen, prozeduralen Konzept. Die Verfasser machen damit einen bedeutenden Schritt hin zu einer Rechtslage, in der Menschen ihr Recht auf einen selbstbestimmten Tod tatsächlich gewährt wird. Die Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf Beratungsstellen wird jedoch der Komplexität von Suizidwünschen nicht gerecht. Die zwingende Einbindung psychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychosomatischen Fachpersonals in jedem Einzelfall erscheint deshalb unerlässlich.

Die Verfasser beider Entwürfe betonen jedoch ihre (weitere) Gesprächsbereitschaft und den Entwurfscharakter ihrer Vorlagen. Möglicherweise könnte dies eine Annäherung beider Konzepte bewirken, die Potenzial zur gegenseitigen Ergänzung bieten. Deshalb bleibt die Hoffnung, dass in naher Zukunft endlich ein Konzept geschaffen wird, das dem Grundrecht auf Selbstbestimmung am Lebensende gerecht wird.


[1] BVerfG, Urteil vom 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., NJW 2020, 905 (920).

[2] BVerfG, Urteil vom 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., NJW 2020, 905 (920 f.).

[3] EGMR, Urteil vom 20.01.2011 − 31322/07 (Haas vs. Switzerland), NJW 2011, 3373 (3374 f.).

[4] BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1 – 6/74, NJW 1975, 573.

[5] BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1 – 6/74, NJW 1975, 573 (575).

[6] BT-Drs. 19/19411, 4 ff.

[7] Hierzu Prütting/Winter GesR 2020, 237.

[8] Wissenschaftlicher Dienst des BT, WD 9 -3000 -020/20, 11.

[9] Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben (2. Aufl. 2020).

[10] Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, https://www.dghs.de/fileadmin/content/05_humanes_sterben/02_gesetze/00_pdfs/21092020_Gesetzentwurf_DGHS_GFpapier_final.pdf (Abruf am 03.02.2020).

[11] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V., https://www.dgppn.de/presse/stellungnahmen/stellungnahmen-2020/suizidassistenz.html (Abruf am 03.02.2020).

[12] Helling-Plahr et al., https://helling-plahr.de/files/dateien/210129%20Interfraktioneller%20Entwurf%20eines%20Gesetzes%20zu%20Regelungen%20der%20Suizidhilfe_final.pdf (Abruf am 03.02.2020).

[13] Künast/Keul, https://katja-keul.de/userspace/NS/katja_keul/Dokumente_2021/200128_Gesetzentwurf_Sterbehilfe_Stand_28.01.2021_final.pdf (Abruf am 03.02.2020).

[14] Saliger, KritV 1998, 118, 148 f.

[15] So auch der Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, Urteil vom 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., NJW 2020, 905 (921).

[16] Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing (Fn. 9), S. 33.

[17] BVerfG, Urteil vom 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., NJW 2020, 905 (921).

Pia Dittke
Pia Dittke ist derzeit Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht (Prof. Dr. Thomas Gutmann, M.A.) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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